»Es ist das Schicksal jeder Generation, in einer Welt unter Bedingungen leben zu müssen, die sie nicht selbst geschaffen hat.« Ob Boomer, Generation X, Millennials oder Gen Z – jede Generation wurschtelt sich durch die Überreste der vorangegangenen. Damit hat es sich aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Was John F. Kennedy, von dem ich das eingangs erwähnte Zitat entlehnt habe, nämlich nicht wissen konnte: Wir Millennials haben es von allen Generationen am schwersten. Während unserer Pubertät brachte 9/11 die Welt aus den Fugen. Seither haben wir jede freie Minute im Internet verbracht, wo wir uns unrealistische Vorstellungen vom Leben, Arbeiten und Frühstücken machten. I can haz Avocado Toast – aber um welchen Preis? Who do I want to become when I grow up – also nach meinem 50. Geburtstag? Hilfe, wie kann ich die Welt verändern und mir gleichzeitig eine Eigentumswohnung finanzieren? Die Realität stellt die Generation Y vor enorme Herausforderungen – vor allem in der Liebe. Es ist schwierig genug, als Millennial andere Millennials zu daten. Noch komplizierter wird es, wenn man als Millennial etwas mit jemandem aus einer anderen Kohorte anfängt, so wie ich jüngst mit einem Angehörigen der Generation X.
It’s complicated
Ich hatte ihn auf einer Party kennengelernt. Schon allein die Leere in seinem Blick verriet mir, dass er zwischen 1965 und 1980 geboren sein musste – als Teil jener Generation, die sich erstmals ohne Kriegseinwirkung weniger Wohlstand und ökonomische Sicherheit erwarten durfte als ihre Elterngeneration, aber mittlerweile ihre Schäfchen ins Trockene gebracht hatte. Der Gen X’er sprach mich an, oder er zitierte mit kaum geöffnetem Mund einen Songtext von Pavement, ich konnte den Unterschied beim besten Willen nicht erkennen. Dennoch folgte ich ihm wenig später in seine riesige Wohnung, als der sexpositive Millennial, der ich bin. Dort verhielt ich mich wie Lena Dunham in der einen »Girls«-Folge, in der sie mit einem älteren Mann nackt Tischtennis spielt, nur ohne Tischtennis. Der Gen X’er entpuppte sich als sehr accomplished. Er liebte die Oper. Ich halte es für sehr vernünftig, in Wien die Oper zu lieben, weil das zu den Dingen gehört, die man hier gut machen kann. Mir ist es leider nie gelungen. Als er mich fragte, ob auch ich die Oper liebte, antwortete ich nervös mit einem Witz: »Meine Oper sind beide schon gestorben, als ich noch sehr klein war«. Dann verabschiedete ich mich und ignorierte seine Anrufe, wie wir Millennials das eben so machen.
Netflix and Chill
Doch wir texteten weiter. Als waschechter Millennial legte ich Wert darauf, nicht umgehend auf seine Nachrichten zu antworten, um den Eindruck zu vermeiden, ich wäre besonders verfügbar. Wenn wir uns dann zum »Netflix and Chill« trafen, sprachen wir häufig über deepe Themen wie intergenerationale Beziehungen, meine Work-Life-Balance und warum ich immer so viel prokrastiniere, wenn ich eigentlich arbeiten muss. Adulting is so hard! Zwischendurch zeigte ich ihm, welche Doggos ich gerne mein Eigen nennen würde oder wir testeten auf Buzzfeed, welche Pizzabeläge unseren Persönlichkeiten entsprechen. Insgesamt kann man unsere Affäre mit zwei Wörtern sehr treffend beschreiben: »on fleek«. Bis wir eines Morgens beim Frühstück saßen. Der Gen X’er wirkte noch zielloser und zukunftsverdrossener als sonst. »Bae, was ist los?« fragte ich einfühlsam, »du hast ja deinen Grünkohl-Smoothie gar nicht angerührt«. Der Gen X’er blickte mir ins Gesicht und sagte mit emotionsloser Stimme »Josef, findest du nicht, dass du Generationenlabels etwas zu viel Wert beimisst? Du bist doch nur ein Jahr jünger als ich«. Das verletzte mich. Ausgerechnet von ihm, der mir wochenlang mein mangelndes Commitment vorgeworfen hatte! »OK, Boomer! Für dich mag es nur das Jahr 1981 sein. Für mich als Millennial ist es jedoch eine ganze Generation«, sagte ich zum Abschied. Bye, Felicia!
I’m a Zoomer now
Ein paar Tage später sollte ich eine längere E-Mail des Gen X’ers erhalten. Die gängigen Labels für Generationen hielt er für willkürlich gewählt und ohne jegliche empirische Basis, sogar für pseudowissenschaftlich und einem tiefgreifenden Verständnis für sozialen Wandel wenig zuträglich. Diese Etikettierungen stellten doch nur eine Beschäftigung für Werbefuzzis und Menschen dar, die wie ich sehr viel Tagesfreizeit hätten. Dieser Zynismus war wieder einmal typisch! Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergaben seine Worte. In Wahrheit gehört man doch ohnehin zu der Generation, der man sich zugehörig fühlt. In letzter Zeit habe ich nämlich immer weniger Lust auf diese ganze Millennial-Scheiße. Mittlerweile fühle ich sehr stark, dass ich von der Einstellung her eher Gen Z bin. Ein Zoomer. Zoom zoom zoom. Hyperpop, TikTok, Buffaloes, Fidget Spinner. Vielleicht trage auch ich bald ein Crop Top, wer weiß? Wir alle haben die Power, die beste Generation der Menschheit zu sein – oder die letzte. Wusste schon John F. Kennedy.
Dieser Text erschien in The Gap Nr. 202.