I can’t get no sleep

Gerade entdeckte ich noch ein neues Zimmer in meinem Kleiderschrank, schon kündigten schrille Sirenen eine atomare Bedrohung an. Doch ich entschied mich, meinen Handyalarm zu ignorieren. Stattdessen verlängerte ich meinen Traum um neun Minuten und atmete noch ein bisschen in meinen Kopfpolster. Das musste mein körpereigener Sinn für Ironie sein: In dieser Nacht hatte ich mich stundenlang erfolglos in den Schlaf gequält, nur um mich an ihrem Ende in einem Koma zu befinden. Am darauffolgenden Tag hielt ich mich nur mit Mühe auf den Beinen. Ein Mittagsschläfchen wollte ich allerdings tunlichst vermeiden. Es würde nur dafür sorgen, dass ich den Schlafzug auch in der nächsten Nacht verpasse. Abends auf der Couch fielen mir dann die Augen zu, nur um wenig später im Bett weit offen zu stehen wie die von Alex in A Clockwork Orange. Es ist manchmal wie verhext. Warum lässt sich mein Bewusstsein nicht einfach ausknipsen? Wie viele hundert Mal muss ich mich wälzen? Warum ist ein geschwinder Schlummer so hard to get?

Weniger Kaffee

Diese Fragen kennen alle, die mit Schlafstörungen zu kämpfen haben. Mein jüngeres Ich hätte noch die Gegenfrage gestellt: Warum muss ich überhaupt schlafen gehen? Die Mama hat doch gesagt, dass ich als Erwachsener so lange aufbleiben darf, wie ich will! Aber der Schlaf würde souverän kontern: »Junger Mann! Ich erfülle lebenswichtige Funktionen für Körper und Geist. Solange du unter meinem Dach schläfst, bist du mir ausgeliefert! Also saufe nicht so viel Kaffee, damit du deine Adenosin-Rezeptoren nicht wieder völlig blockierst.« und dabei extrem diabolisch lachen. Ich weiß nicht, wie hilfreich es ist, sich den Schlaf als eine Person vorzustellen. Aber in meinem Kopf ist er ein hutzeliger, weißer, alter Mann, der mit Vorliebe junge Eltern piesackt und kinderlose, freshe Millennials wie mich, die mit einem zu awesomen TikTok-Algo gesegnet sind, um ihr Smartphone für siebeneinhalb Stunden aus der Hand zu legen. Mit den Jahren wurde ich zunehmend schlafloser, aber auch reifer. Ich habe mich in der Zwischenzeit natürlich informiert. Das Zauberwort heißt »Schlafhygiene«. Damit sind so Netdoktor-Tipps gemeint wie regelmäßig zur selben Zeit ins Bett gehen, kein Essen vor dem Schlafengehen, kein Essen im Bett. Also insgesamt eher wenig alltagstauglich.

Josefs aktuelle Termine

Insomnia ist mainstream

Viel zweckmäßiger erschien es mir mit Tabletten nachzuhelfen. Nicht mit Schlaftabletten! Der Schlaf-Wach-Rhythmus im Körper wird von Melatonin gesteuert. Das ist ein Hormon, das man sich praktischerweise auch beim DM besorgen kann. Allerdings hilft Melatonin nur beim Einschlafen, wenn kein körpereigenes mehr erzeugt wird, was bei mir noch nicht der Fall ist. Woher ich all diese Fakten kenne? Aus Gesprächen mit Leidensgenoss*innen. Von denen gibt es mittlerweile ziemlich viele. Insomnia ist nämlich mainstream geworden. Literally jede eineinhalbte Person schläft hin und wieder schlecht. Haben wir es hier also mit einem Zeichen der Zeit zu tun? Raubt uns etwa der Kapitalismus buchstäblich den Schlaf? Mit ziemlicher Sicherheit. Ich weiß nicht mehr, wo genau ich es gelesen habe, aber durch das Aufkommen der Stechuhren wurde die Schlaflosigkeit im Fin-de-Siècle zum einem Fluch, der seither permanent auf erschöpften Kopfarbeiter:innen lastet. Seit ich das weiß, wünsche ich mir gravierende gesellschaftliche Umbrüche. In erster Linie, damit ich endlich wieder in Ruhe schlafen kann.

Restless legs

Bis dahin heißt es jedoch, sich mit seiner nächtlichen Ruhelosigkeit zu arrangieren. Manchmal ist das beste Mittel gegen Schlaflosigkeit, sie zu akzeptieren. Du kannst dich eben nicht in die Entspannung zwingen. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, als deine restless legs in die Matratze zu stampfen, während dir die ungefilterten, irrationalen und überzogenen Gedanken einer schlaflosen Nacht durch den Kopf gehen: »Nie wieder werde ich mit ihm sprechen!«, »Ich mag die Mama viel lieber als dich!«, »Was hat dieses Arschloch eigentlich Besseres zu tun als meinen liebevoll kuratierten Photo Dump zu liken?« Das nächtliche Drama hat schließlich auch etwas Kathartisches. Idealerweise lässt man sich aber von seiner Schlaflosigkeit nicht zu sehr stressen. Vielleicht steht man auch für ein, zwei Stunden wieder auf. Oder denkt über was Angenehmes nach. Zum Beispiel, wo in der Wohnung tatsächlich Platz für ein neues Zimmer wäre. Was man darin gerne machen würde. Wie aufwändig es wäre, eine Wand hochzuziehen. Was die Hausverwaltung dazu sagt. Wie man Handwerker*innen findet, die sowas easy hinkriegen. Man will schließlich keine zusätzlichen schlaflosen Nächte riskieren.

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Dieser Text erschien in The Gap.