Ketamin ins Trinkwasser

Seit einiger Zeit bin ich nicht so gut drauf. Ein Freund fragte neulich nach dem Grund. Ich antwortete: »Weißt du, die größten Comedians der Welt sind depressiv«. Doch er zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Ja, ich weiß, aber warum bist du depressiv?« Dann mussten wir beide lachen. Wir wussten natürlich, dass eine einfache Traurigkeit nichts mit einer Depression zu tun hat. Für letztere muss laut ICD-10 mindestens ein Hauptsymptom über zwei Wochen praktisch durchgehend vorhanden sein: anhaltende gedrückte Stimmung, Verlust von Interessen und Freude oder geringe Energie. »Halblustige Witze vor spärlichem Publikum erzählen gehört noch nicht dazu«, setzte er nach, »da ist sich die WHO noch nicht ganz einig«. Dann signalisierte ich ihm, dass es nun aber gut sei. Mit meiner Niedergeschlagenheit bin ich nicht alleine. Gefühlt jede zweite Person berichtet von Schwermut, als gehe sie gerade rum wie eine Grippe. Ein Zeichen der Zeit im Jahr 2025. Manchmal frage ich mich deshalb: Ist das noch ein normaler Weltschmerz-Vibe im Co-Working-Space oder sollte man beginnen, den Trinkwasservorkommen flächendeckend kleine Mengen Ketamin beizugeben? 

Eat, Sleep, Cardio, Repeat

Hier habe ich natürlich ein bisschen zugespitzt – was allerdings nicht unüblich ist für Personen, die gerade eine schwere Zeit durchmachen. Drogen im Trinkwasser sind natürlich auch keine Lösung. In manchen Fällen ist Microdosing von Ketamin oder Psylocybin aber das Einzige, was hilft. Zumindest wird mir das von Menschen erzählt, die sich damit auskennen. Die Wirkung von Antidepressiva ist hingegen umstritten. Niemand wisse wirklich, ob an der Serotonin-Hypothese etwas dran sei, erklärte mir vor kurzem sogar eine Pharmazeutin. Auch sie hatte einen harten Tag hinter sich und tröstete sich mit etwas Spritzwein. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wären nichts anderes als Placebos. Da schon lieber Alkohol, auch wenn der Spritzer mittlerweile auch schon bald fünf Euro kostet, seufzte sie resignierend. Fragt man hingegen klinisch Depressive, was ihnen gut tut, lautet die Antwort eher selten Ketamin. Die meisten schwören – neben fachärztlich begleiteter, medikamentöser Behandlung – auf gesundes Essen, frühes Schlafengehen und regelmäßiges Cardio-Workout. Struktur! Auch ich beginne, mir auf einer Joggingrunde regelmäßig ein paar Endorphine abzuholen. Immer öfter stellt sich mir aber die Frage, ob ich den Lauf der Welt noch wegjoggen kann. 

Josefs aktuelle Termine

Weniger Arte-Dokus

Denn an äußeren Anlässen für Gefühle von Schwere mangelt es nicht. An manchen Tagen zieht mich schon das Morgenjournal runter, obwohl Ö1-Redakteur*innen die Realität immer ein bisschen sugarcoaten, indem es jeden zweiten Tag eine halbe Stunde um einen Streit in der Ärztekammer geht. Die verbleibende Sendezeit reicht jedoch völlig aus, um mir meine mangelnde Wirksamkeit in der Welt vor Augen zu führen. Eine Runde auf Instagram tut dann das Übrige. »Vielleicht wärst du glücklicher, wenn du weniger Zeit auf Insta verbringst«, riet mir unlängst ein Freund. Er wisse aus einer Arte-Doku, dass die starke Nutzung von sozialen Medien nur unglücklich macht. »Vielleicht wärst du glücklicher, wenn du weniger Arte-Dokus anschauen würdest«, gab ich ihm etwas trotzig zurück. Wer mit Personen spricht, die gerade Krise haben, muss auf etwas Gegenwind gefasst sein. Denn nichts verteidigen Traurige so vehement wie ihre eigene Misere. Hausbackene Vorschläge nerven, egal wie vernünftig sie sind, wenn man eigentlich nur sudern will. 

Auf Werkseinstellungen zurücksetzen

Vor ein paar Jahren war alles noch einfacher. Steckte jemand in der Krise, konnte man mit zwei Wörtern einen Plottwist herbeiführen. Man sagte »Mach’ Bildungskarenz!« und das Gegenüber sah ein neues Leben am Ende eines Regenbogens. Wie wir alle wissen, ist diese Maßnahme mittlerweile dem Rotstift zum Opfer gefallen. Meine Meinung: Der Mangel an Spanisch sprechenden Yoga-Lehrer:innen wird sich in naher Zukunft rächen. Noch ein paar Jahre früher, in den Nullerjahren, redete kein einziger Comedian von Traurigkeit. Damals redeten überhaupt nur Emos davon. Die dafür aber ziemlich oft. Viele Depressive übten sich in Tapferkeit, weil der Ausdruck von Niedergeschlagenheit, Ängsten oder der schlichten Unzufriedenheit mit den Verhältnissen verpönt war. Noch heute werden wir dazu gedrängt, Traurigkeit schnell zu überwinden, uns rasch zu erholen und auf Werkseinstellungen zurückzusetzen. Das ist dann aber nicht, was ich in so einer Situation bräuchte. Viel lieber wäre mir, wenn ein Freund einfach nur da ist und auf Empfehlungen zum Lebensstil verzichtet. So hilft er, die traurige Energie zu absorbieren, bis sie für einen Moment verschwindet und ich ein bisschen fröhlich bin. Um dann vielleicht zu sagen: »Dein Leben ist doch gar nicht so schön, Josef. Solltest du nicht eigentlich Depressionen haben?«

Josefs aktuelle Termine

Dieser Text erschien in The Gap.