Tickets kaufen war auch schon mal einfacher. Mittlerweile geht das ja fast nicht mehr ohne eine Kreditkarte und eine Dreiviertelstunde, die man auf einen Counter starrt, während man sich auf schmerzhafte Weise die Pinkel einbehält. Dann wird man in ein virtuelles Stadion gelassen, in dem alle Plätze schon längst vergeben sind. Dabei hätte man so gerne mal einen richtigen Popstar auf ein paar hundert Meter leuchten gesehen und dafür ebenso viele Euros bezahlt. So in etwa die leidvolle Erfahrung, die viele beim online Anstellen für Oasis in Manchester oder Lady Gaga in Milano machten. Manche allerdings auch beim Comedian Dave Chapelle im Wiener Gasometer. In diesem Fall kostete ein Ticket sage und schreibe 180 Euro. Mir persönlich ja ein Rätsel. Nicht falsch verstehen: Es wundert mich nicht, dass es in Wien mehrere tausend Edgelords gibt, die bereit sind, einen solchen Preis für eine transphobe Comedy-Show zu bezahlen. Bemerkenswert finde ich, dass deren Englischkenntnisse auszureichen scheinen, um einem abendfüllenden Special zu folgen
Typisch Wien
Eigentlich ist Wien keine Stadt, in der man sich gerne anstellt, ob digital oder in echt. So wenige Kassen kannst du in Supermärkten gar nicht aufstellen. Typisch wienerisch ist, zu reservieren und dann nicht zu kommen, oder, fast häufiger, sich vorab gar nicht um den Zutritt zu kümmern und darauf zu vertrauen, irgendwie hinein zu flutschen. Es gibt einfach keine Anstellkultur in dieser Stadt. Davon nehme ich mich selbst gar nicht aus. Vor zwei Jahren hätte ich gerne aus der Nähe beurteilt, wie gut Brian Molko gealtert ist. Allerdings war ich nicht bereit, dafür 80 Euro auszugeben. Ich entschied mich also für den Wiener Weg und lungerte am Bühneneingang der Stadthalle herum, um mich im richtigen Moment, am Portier vorbei, in die Halle zu schummeln. Schlecht gealtert ist jedoch vor allem eines: meine Unverfrorenheit. Der Portier brauchte mich nur kurz anzuschauen, schon machte ich kehrt und versteckte mich hinter einem Pfeifen. Richtig peinlich, für sowas 80 Euro zu bezahlen, dachte ich mir auf dem Heimweg.
23. September, Wien – 30. Oktober, Hall i. Tirol
Lieber als NFT
Es ist ja auch alles so schrecklich teuer geworden. Wer schuld ist, hängt davon ab, wen man fragt. Taylor Swift, sagen Männer über 40. Der Kapitalismus, sagen alle anderen. Wenn du in Amerika auf ein Konzert von Tay Tay möchtest, kann dich das schon mal 5.000 Dollar kosten. Denn je mehr Menschen sich für eine Erfahrung interessieren, desto höher schraubt Ticketmaster die Preise. Resale-Plattformen, Venues, diese großen Schaumstofffinger – alles Monopole. Dafür kannst du dann nicht nur fühlen, was dein liebster Popstar singt, sondern währenddessen auch noch Bungee-jumpen. In zehn Jahren gehen wir sowieso nicht mehr auf Konzerte, sondern kaufen uns Erfahrungen als NFTs. So besitzen wir sie nachweislich und nicht nur als Insta-Story, die nach Ablauf von 24 Stunden niemand mehr sehen kann. Sage ich jetzt mal so als Mann über 40. Doch hin und wieder gönne auch ich mir einen Konzertbesuch. Vor allem wenn der Edgelord meiner Jugend in die Stadt kommt.
Ein seltsamer Mittelweg
Morrissey hat in den vergangenen Jahren – gelinde gesagt – viel Unsinn geredet. Deshalb wird er auch von vielen ignoriert. Andere wiederum trennen Künstler und Kunstwerk und kaufen sich ein Ticket um 80 Euro. Diesmal wählte ich einen seltsamen Mittelweg. Am Tag des Konzerts suchte ich auf der führenden Resale-Plattform der Stadt (Willhaben) nach günstigen Tickets – und wurde zum Halbpreis fündig, was ich echt okay fand. Auf dem Konzert war dann kein einziger Mensch unter 40. Ich dachte mir, zugegebenermaßen etwas opportunistisch: Wenigstens habe ich den in Ungnade Gefallenen nicht direkt alimentiert. So stand ich zwischen tausend Typen, die aussahen wie ein zum Leben erwecktes Standard-Forum und meine Annahmen über mangelnde Anstellkultur bestätigten. Aber die wollten ja auch nur noch mal fühlen, was der Popstar singt. Wie ich. Insta-Story habe ich dann doch keine gemacht.
23. September, Wien – 30. Oktober, Hall i. Tirol
Dieser Text erschien in der Waves-Sonderausgabe 2025 von The Gap.