Yes Sir, I Can Bougie

Als Kind konnte ich nicht gut verlieren. Spielbrett, Häuschen und Figuren flogen regelmäßig durch die Luft, wenn ich beim Monopoly am absteigenden Ast war. Im Grunde wäre das heute noch so, hätte ich nicht irgendwann aufgehört Monopoly zu spielen. Dinge, bei denen gewürfelt wird, sind mir eben nicht geheuer, zum Beispiel Brettspiele, Würfelpoker oder soziale Klasse. Richtig gelesen, soziale Klasse. Viele fragen sich ja, was Klasse überhaupt bedeutet. Seit die Sozialdemokratie den Klassenkampf institutionalisierte und wir uns als Individuen scheinbar frei durch gesellschaftliche Zusammenhänge bewegen, redet kaum jemand mehr von sozialer Schichtung. Trotzdem gibt es noch immer Menschen, die extrem gut Monopoly spielen. Während man selbst noch im Gefängnis sitzt, stellen die schon ein Häuschen nach dem anderen auf die Schlossallee. Nur binden sie ihren Vorsprung nicht mehr allen auf die Nase. Deshalb musst du genauer hinschauen, wenn du wissen willst, wie bourgeois jemand wirklich ist.

Alte Schotten

Ein Fischmesser sachgemäß verwenden ist bougie. Getränke auf Linienflügen bestellen Ist bougie, ein aufblasbares Nackenkissen besitzen ist bougie. Sich in aller Selbstverständlichkeit in Restaurants etwas einpacken lassen ist ebenfalls bougie und Wein über acht Euro kaufen ist äußerst bougie. Vom Vater, der Rechtsanwalt, oder der Mutter, die Zahnärztin ist, mehrere Zinshäuser vererbt zu bekommen ist bougie as fuck. Es ist also gar nicht so kompliziert. In Wien genügt es meistens schon zu wissen, auf welchem Gymnasium jemand war. Man hört das sogar an der Art, wie jemand spricht. Erst unlängst schrieb ich mit einem ziemlich cuten Typen, gute Zähne, schöne Haare, angenehmer Vibe. Relativ bald gab er sich als “alter Schotte” zu erkennen, was bedeutete, dass er auf dem Schottengymnasium war. Kurz danach zählte er auch schon seine Lieblingskomponisten auf. Wenn du Dialekt sprichst und als Kind keinen Klavierunterricht hattest, bringt dich so eine Situation in Bedrängnis. Wenig fühlt sich alberner an, als binnen weniger Minuten auf Spotify herausfinden zu müssen, was der Hit auf den Goldberg-Variationen war, nur um einen Typen zu beeindrucken. Doch für ihn scheute ich keine Mühen (Variation 3 a 1 clav. Canone all’Unisono) und schon waren wir zum Essen verabredet. Würde ich meine bougie Fassade aufrecht erhalten können? Eine weise Person hatte mir einst verraten, wie man Monopoly immer gewinnt: indem man alles kauft.

Kaufe alles!

Akribisch bereitete ich mich auf mein Date vor. Ich lernte ein paar Thesen von Yuval Noah Harari auswändig, stickte einen Polospieler auf mein T-Shirt und ernährte mich ausschließlich von Ferrero Rocher um bourgeoise Saturiertheit auszustrahlen. Dann wälzte ich Wikipedia-Einträge zu römischem Recht und übte mit gespitzen Lippen das Wort “tatsächlich”. Zu meiner Überraschung schlug er vor, in ein Mittelschichtslokal zu gehen. Der Abend begann nicht weniger als fabelhaft. Zunächst bestellte ich die teuersten Gerichte der Karte, manche zweimal, weil mir der Gesamtbetrag noch immer zu niedrig erschien. Dann sprach ich sehr viel von Wein und erteilte ihm 12 Lektionen für das 21. Jahrhundert und 21 Regeln fürs Leben, bevor ich, bewaffnet mit einem Fischmesser, sein Herz eroberte. Erst zu späterer Stunde öffnete er sich mir. Im flackernden Kerzenlicht sprach er von seiner Kindheit. Er wäre in einer einfachen Mietwohnung im dritten Bezirk aufgewachsen. Seine Lehrereltern hätten nicht viel gehabt, aber trotzdem Wert auf eine solide Ausbildung gelegt und ihn deshalb auf das elitäre Gymnasium geschickt. “Tatsächlich”, erwiderte ich verständnisvoll. Mein bougie Date entpuppte sich also als waschechter Kleinbürger. Er reihte sich ein in meine Sammlung von Sacharbeitersöhnen, Bankbeamtenjuniors und Außendienstmitarbeiterfilii. Wir teilten uns die Rechnung und verabschiedeten uns mit einer innigen Umarmung.

Rückkehr nach Heim

Zuhause entledigte ich mich meines geliehenen Smokings, setzte mich vor mein aufgeklapptes Macbook Pro und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Nichts an meinem Date hatte auf sein Mittelschichtsdasein verwiesen. Warum hatte mein Elitenradar versagt? Weshalb spülte mich das Leben so zielsicher an die Seite von Menschen, die eine ähnliche soziale Herkunft aufwiesen wie ich? Konnte es im Umkehrschluss möglich sein, dass mich die herrschende Klasse in Form von Sozialarbeiter:innen, Street Artists und  linken Aktivist:innen umgab? Fragen über Fragen. Ich schälte ein letztes Ferrero Rocher aus der Packung und schob es in meinen Mund. Monopoly war schon ein seltsames Spiel. Es schürte den Klassenhass und dauerte ewig lange. Und meistens endete es auch nicht, weil jemand tatsächlich das Spielziel erreichte, sondern weil irgendwann einfach niemand mehr Lust drauf hatte. 

Dieser Text erschien in The Gap, Ausgabe Nr. 189